Der Händler – Teil 1: Der Überfall

Titelbild

Mit einem Backstein könnte man töten. 
Wie jeden Tag hatte Belma auch an jenem Mittwoch auf ihrem Weg in die City diesen Gedanken, wenn sie an dem dunkelroten Backsteinhaus vorbei ging. 
Aber nur im Krieg wird getötet, murmelte sie. Sie war Gott froh, dass sie seit Jahren in Frieden leben konnte. 1992 dem kriegerischen Treiben in Bosnien-Herzegowina entflohen, lebte sie nun seit vielen Jahren in Bochum-Westenfeld.

Sie nickte der Wand zu, als sei sie ein alter Bekannter und ging weiter mit zwei Einkaufstüten und leicht humpelnd zu ihrem alten Freund und Landsmann Ibrahim. Dieser besaß einen Kiosk vorne an der Ecke und erstaunlicherweise wartete er heute nicht vor dem Laden auf sie. Belma wunderte sich ein wenig. 

Ibrahim? Sie linste vorsichtig in den Kiosk hinein.
Es schien niemand da zu sein. Sie seufzte und nahm die drei Stufen, die nach unten in den dunklen Innenraum führten. Ihr Fuß, der auf der Flucht 1992 gebrochen und unbehandelt wieder zusammengewachsen war, schmerzte.

Aus dem Lager drangen Geräusche an ihr Ohr, also schlich Belma so gut es ging mit ihren Tüten in der Hand und ihrem Humpelbein nach hinten. 

Was macht Ihr Arschgeigen da? Belmas laute Stimme zerschnitt die Stille, sodass sich alle vier Beteiligten der Szenerie umdrehten und die alte bosnische Dame mit ihren Taschen und dem knallroten Kopftuch erstaunt ansahen.

Offensichtlich hatte hier unten niemand mit Besuch gerechnet – schon gar nicht die drei kahlrasierten Gestalten, die verdutzt im Halbkreis standen. Einer hatte einen Backstein in der Hand und hatte damit offenbar gerade Ibrahim traktiert, dieser blutete nämlich aus einer großen Platzwunde über dem rechten Auge. Leises Stöhnen war vernehmbar. 

Ihr drei Nazi-Dummköpfe macht jetzt, dass Ihr verschwindet! 
Belma hatte aus ihrer Tüte ihre 71er SIG P210 rausgeholt und zielte direkt auf die drei in Schwarz gekleideten Typen. Nicht ein einziges Mal blinzelte sie. Sie war in ihrem Leben schon mit ganz anderen Idioten fertig geworden, da machten ihr diese drei Lümmel keine Angst. 
Wird`s bald!? 
Ibrahim grinste breit, Blut lief ihm aus dem Mund.
Die drei Eindringlinge waren von der Pistole tief beeindruckt, bewegten sich nicht.

Belma drückte unvermittelt ab, sie ballerte wild drauf los, schoss das ganze Magazin leer. Ohrenbetäubender Lärm und beißender Rauch erfüllten das Lager. Die fünf Menschen verharrten regungslos. Denn Belma hatte zwar Einschusslöcher in der Wand hinterlassen, aber niemanden getroffen.

Die drei Jugendlichen lösten sich als erste aus der Starre, hektisch schauten sie sich auf dem Boden um, dort lagen fünf Pakete. Jeder schnappte sich eines und sie rannten wortlos an Belma vorbei nach oben. 

Ibrahim! wandte sich Belma an ihren Freund. 
Lebst Du noch? Wie konnten die unseren Stoff finden?  

Was niemand wusste, und was auch die drei Nazis bei ihrem Überfall wohl nur durch Zufall entdeckt hatten, war, dass Ibrahim gemeinsam mit Belma seit Jahren einen florierenden Kokainhandel betrieb. Und nun wurden ihnen von einer frischen Fünf-Kilo-Lieferung drei Päckchen entwendet. 

Tarkan wird toben! Ibrahim rappelte sich auf. 
Wie sollen wir ihm erklären, dass wir von den dümmsten Trotteln der Stadt bestohlen worden sind? 

Was müsst Ihr erklären? 

Tarkan stand in der Tür und zupfte an seinem Jackett. Tarkan war der langjährige türkische Freund der beiden, der als Zwischenhändler dafür zuständig war, dass der Kiosk immer gut aufgefüllt war. 
Wieso ist es bei Dir immer so staubig, Ibrahim? 
Belma und Ibrahim schauten sich an. Tarkans Blick fiel auf den Boden, wo die letzten beiden Päckchen des teuren Stoffes lagen, durch Risse in der Folie verteilte sich das Koks auf dem schmierigen Boden.
Tarkan riss die Augen auf. 
Ihr bescheuerten Kanaken! Was ist denn hier passiert? 
Ibrahim räusperte sich, spuckte dunkles Blut aus und sagte: 
Brüll mal nicht so laut, Tiger! Drei von diesen Nazi-Spacken haben mich überfallen und sind durch Zufall über Deine Lieferung gestolpert. Drei Kilo konnten sie sich greifen, Belma hätte sie fast erschossen! 

Tarkan grübelte kurz und drehte sich dann um, um zu gehen. Er schaute sich noch mal zu den beiden um: 
Los, wir holen uns das Zeug zurück! Ibrahim, hast Du ein Auto?
Mein VW Bus steht vor der Tür. 

Die drei gingen aus dem Lager, durch den ungepflegten Kiosk und die Stufen hinauf auf die Straße.
Dort stand Ibrahims zerbeulter alter Bus, in den sie einstiegen. 

Fortsetzung folgt.

ZUR KURZGESCHICHTE »Spiel des Lebens«

Sende
Benutzer-Bewertung
3.5 (2 Stimmen)

Du magst vielleicht auch

3 Kommentare

Schreibe einen Kommentar