KRIMI-KAPITEL 9 • Finale

Krimi Kapitel 9

Fritzi blinzelte in die Februar-Sonne, sie fröstelte. Der Himmel war blau und wolkenlos an diesem kalten Wintertag. 
„Diese nebulöse Geschichte ist nicht so schön wie das Wetter heute“ sagte Serina. Fritzi wandte sich ihr zu: „Ein echtes Gruselkabinett!“
„Komm mit, ich werde dir alles erzählen. Wir haben nicht viel Zeit bis die Polizei hier auftaucht.“ Serina legte die Hand aufmunternd auf Fritzis Schulter und deutete mit dem Kopf zum Eingang des Impfzentrums. 

Fritzi atmete tief ein und seufzte – dann gingen die beiden Frauen hinein.

Nachdem Fritzi mit Adrian Kamp alias Captain America das Impfzentrum ein paar Tage zuvor fluchtartig verlassen hatte, versuchte er sie anschließend zu der Einsicht zu bringen, dass Serina Sander die Mörderin gewesen sein musste. Fritzi war jedoch ganz und gar nicht überzeugt und hatte ihre Kollegin daher gebeten, sich heute und hier mit ihr zu treffen. Diese hatte sofort zugestimmt und wollte ihr Hintergrundwissen endlich preisgeben. Immerhin war sie die neue Freundin des zuständigen Kommissars – auch wenn dieser das in einem Zeitungsinterview geleugnet hatte.

„Schuld an der ganzen Misere ist Professor Truschinski“ begann Serina mit ihrer Schilderung der Vorkommnisse.
„Aber der ist doch tot!“
„Ja, jetzt. Aber durch ihn nahm die Tragödie erst ihren Lauf – und irgendwann war sie nicht mehr aufzuhalten.“

Im Vorraum des Impfzentrums legten sie der Security ihre Mitarbeiterausweise vor und ließen die tägliche Temperaturmessung wortlos über sich ergehen.

„Nenn‘ es Habgier, Raffsucht, Maßlosigkeit – oder einfach nur Wahnsinn“ fuhr Serina fort, „Der Professor hat sich auf die falschen Leute eingelassen, aus den falschen Motiven, mit den falschen Zielen. Am Ende musste sein Sohn dafür mit dem Leben bezahlen – und das auf so tragische und unnötige Weise, dass es mir eiskalt den Rücken runter läuft.“ 

Die beiden schlenderten langsam den Flur entlang. Sie hielten die Köpfe gesenkt und sprachen leise.

„Es geht um Geld, um sehr viel Geld. Truschinski hat staatliches Kapital veruntreut, das von der Regierung dem Impfzentrum zufloss. Und das zusammen mit einer fiesen Bande Krimineller und anderen ärztlichen Leitern von Impfzentren in ganz Deutschland. Fritzi, die haben ein riesiges betrügerisches Netz aufgebaut! Lou hat mir alle Hintergründe dieses organisierten Verbrechens dargelegt. Leider habe ich keinen blassen Schimmer, weshalb er jetzt so tut als wären wir kein Paar.“
„Also stimmt es, was in der Zeitung steht. Und sein Sohn Tristan ist dahintergekommen?“
„Das war reiner Zufall, aber irgendwie meine Schuld.“ Serina blieb kurz stehen und schloss für einen Moment die Augen.
Fritzi schaute sie ungläubig an: „Wieso deine Schuld?“

Serina ging langsam weiter. Sie redete so leise, dass Fritzi Schwierigkeiten hatte, ihren Worten zu folgen. Das Impfzentrum war voll und lautes Stimmengewirr übertönte das Gesprochene beinahe.

„Tristan platzte in eine Geldübergabe, die im Keller von Professor Truschinskis Haus stattfand. Ich habe ihn dorthin geschickt!“

Fritzi und Serina standen nun am Eingang zum Pausenraum. Pierre kam auf sie zu, fröhlich wie immer.
„Na Ladies, alles fit im Schritt?“
„Verpiss dich!“ fauchte Serina.
„Oh, Madame hat wohl ihre Tage“ Pierre zuckte mit den Schultern und ging unbeeindruckt weiter.

Die Frauen betraten den Pausenraum. Viele Kollegen standen und saßen herum, schwatzten, aßen oder starrten in ihre Handys. 

„Warum hast ausgerechnet du Tristan in den Keller geschickt? Ich verstehe gar nichts.“
„Ich kenne die Familie schon lange und gebe Truschinski Junior seit vielen Monaten Nachhilfe – oder besser gesagt: ich gab ihm Nachhilfe.“
„Ja und?“ Fritzi hob fragend die Schultern.
„An jenem Tag habe ich ihm geholfen, sich auf ein Referat vorzubereiten. Es ging um Minimalismus und was man in Deutschland alles unnötig im Keller lagert. Ich habe ihn aufgefordert, nach Hause zu gehen, um vor Ort zu recherchieren und Fotos zu machen. Er sollte gar nicht dort sein, sondern bei mir!“ 

Allmählich wurde Fritzi klar, wie das fürchterliche Drama seinen Anfang genommen hatte. Sie lehnte sich an die Wand und schaute zur Decke. Hörbar atmete sie aus. 

„Tristan rannte an diesem Tag zu mir zurück, völlig außer Atem und verweint kam er bei mir an. Er schilderte alles: Dass dort vier Männer mit seinem Vater in der Waschküche des Kellers waren. Dass überall Kisten herumstanden. Dass sein Vater ihn entsetzt angeschaut hatte, als er den Raum betrat. Dass die Männer ihm folgen wollten als er weglief, der Professor sie jedoch davon abgehalten hatte.“

Serina ging zu den Spinden und öffnete eine der quadratischen Holztüren. Das Schloss quietschte. Fritzi hielt immer noch den Atem an, wenn jemand einen der Schränke öffnete. Schließlich hatte sie dort vor Wochen den Kopf von Professor Truschinkis totem Sohn gefunden. 

„Tristan ist noch eine Weile bei mir geblieben. Ich sagte ihm, dass alles sicher ganz harmlos sei, also ging er an diesem Abend wieder nach Hause.“

Serina griff in den Spind und holte eine rote Tasche heraus.

„Und dann komme ich am nächsten Morgen hierher, sehe vor Schichtbeginn dieses Arschloch vor deinem Spind stehen und Tristan war tot.“
„Welches Arschloch?“ 
„Hallo ihr zwei!“ Vor den Frauen stand Captain America. Sein Gesichtsausdruck war ernst. 
Dieses Arschloch!“ sagte Serina wütend und zeigte mit dem Finger auf Adrian.

Die meisten Kollegen, die sich zu diesem Zeitpunkt im Pausenraum aufhielten, hatten sich den Streitenden interessiert zugewandt und das Gespräch neugierig verfolgt. Und als jetzt der Kommissar Lou Verignow mit seinem Kollegen den Raum betrat, verstummten auch die letzten Gespräche. Das hier wirkte wie ein sensationeller Showdown.

Und genau das sollte es werden.

„Herrschaften!“ sagte Lou, „Beruhigen Sie sich bitte. Wir klären diesen Fall hier und heute auf, denn ich weiß wer der Mörder von Tristan Truschinski ist. Nicht wahr, Herr Kamp?“ Damit drehte er sich zu Adrian und machte einen Schritt auf ihn zu: „Sie wissen es auch, korrekt?“
„Ja das weiß ich.“ Adrian sprach mit fester Stimme, „Es ist Serina Sander.“ Er hielt dem Blick des Kommissars stand. 
„Du spinnst doch!“ keifte Serina, sie atmete schwer und konnte nicht glauben, was sie da hörte. Ihr Blick fiel flehend auf ihren neuen Liebhaber. Aber der Kommissar schaute nur unentwegt in Captain Americas stahlblaue Augen. Dann schrie sie es fast heraus: „Adrian Kamp ist der Mörder!“

Die Umherstehenden hielten die Luft an. Niemand sagte ein Wort.

Schließlich machte Fritzi zwei Schritte vorwärts und hob beschwichtigend ihre Arme, so wie sie es immer mit ihrem Hund tat, wenn er zu wild tobte. Dieses Gezanke konnte so nicht weiter gehen. Sie hatte dem Streitgespräch bis jetzt schweigend zugehört und war in Gedanken nochmal die letzten Wochen im Impfzentrum durchgegangen: der erste Tag, der hektische Teamleiter, ihre Begegnung mit dem schönsten Mann der Welt, die Nerv tötenden Impflinge, die alles besserwissenden Ärzte, die Giftspritzen, der Kopf eines Toten in ihrem Spind, der Selbstmord des Professors – alles fügte sich zu einem vollständigen Bild. 

Sie spürte die Blicke der Anwesenden, die nun auf ihr ruhten. Alle erhofften sich von ihr die Erleuchtung.

Fritzi senkte die Arme. Sie hielt weder Serina Sander noch Adrian Kamp für den Mörder. Aber wie sollte sie das den Anderen begreiflich machen?
Bevor sie etwas sagen konnte, sprach der Kommissar: „Herr Kamp, Sie sind verhaftet wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts zum Nachteil von Tristan Truschinski. Und ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass diese grausame Tat zum tragischen Selbstmord eines tieftraurigen und verletzten Vaters geführt hat.“

„Tut mir leid, Lou. Damit kann ich nicht dienen.“ entgegnete Adrian. Er griff in seine Gesäßtasche und holte eine kleine blaue Karte hervor, die er Verignow ins Gesicht hielt.

„Ich bin Beamter des LKA und hatte als verdeckter Ermittler die Aufgabe, die Hintermänner des mutmaßlichen Betrugsskandals aufzudecken und den wahren Mörder zu finden. Mein Name ist nicht Adrian Kamp, sondern Sebastian Stoltz.“

Das schlug ein wie eine Bombe. 
Die Umherstehenden warfen sich ungläubige Blicke zu und begannen zu tuscheln.
Lou starrte den Mitarbeiter des Landeskriminalamts wortlos an.
Serina sagte leise: „Aber ich war‘s auch nicht, wirklich.“ 

Fritzi stand noch immer an der Stelle, von der aus sie versucht hatte, alle zu beruhigen. Sie schüttelte den Kopf und streckte den Rücken durch, um größer zu wirken. Sie wollte, dass jeder hier im Raum genau zuhörte. Dann räusperte sie sich und legte los:

„Weder Serina noch Adrian, Entschuldigung: Sebastian, ist es gewesen. Aber wer dann?“ Sie machte eine kurze dramatische Pause, bevor sie weitersprach:
„Diese Frage kann uns nur Lou Verignow beantworten. Ist es nicht so, Herr Kommissar?“ Bei diesen Worten drehte sie sich zu dem Polizisten und berührte ihn am Arm. 
„Ist es nicht so?“

„Sie leiden wohl an Wahnvorstellungen!“ entgegnete dieser, schien jedoch verunsichert.

Fritzi hatte im Rückblick auf die letzten Tage und Wochen alle Puzzleteile zu einem vollständigen Bild zusammengefügt: 
„Der Einzige, der die gesamte Zeit über verhindert hatte, den Mörder und Drahtzieher des Betrugs zu finden, war der Täter selbst. Der Einzige, der Zugang zu allen Informationen hatte und diese zu seinem Vorteil auslegen und andere auf diese Art manipulieren konnte, war der Täter. Und der Einzige, der Spuren so legen konnte, dass sie auf jemand anderen deuteten, war der Täter – ein Polizist. Serina Sander hat er nur benutzt, um seine Theorie in der Öffentlichkeit zu stützen.“

Serina sank auf die Knie. 
Sebastian Stoltz stemmte die Arme in die Hüfte und pfiff leise durch die Lippen.
Lou stolperte drei Schritte rückwärts.

Die Situation war grotesk, denn sie wirkte wie der Kampf in einer Arena: Lou stand alleine vor einem Halbkreis von Menschen, die ihn angafften. Sebastian alias Adrian ging wie ein Dompteur langsam vor ihm hin und her, Lou verfolgte ihn mit den Augen. Seine Gesichtsfarbe wurde fahl, er riss sich die Maske runter, keuchte.

„Ach ja, da steht Ihr und glotzt, Ihr scheißverfluchten Heuchler!“ Lou brüllte die versammelte Menge lauthals an. 
„Wisst Ihr eigentlich wie einfach es war, den Betrug durchzuziehen? Eure Bosse konnten gar nicht genug bekommen vom großen Kuchen, von dieser Geldruckmaschine namens Impfzentrum. Immer mehr und noch mehr musste es sein!“

Speichel lief aus Lous Mundwinkel. Er spuckte auf den Boden.

„Ich hatte so verdammt leichtes Spiel – bis mir diese kleine pickelige Wurst in die Quere gekommen ist und dieser idiotische Professor, der plötzlich meinte, sein Gewissen entdecken zu müssen. Da habe ich einfach beide aus dem Weg geräumt. Und du Serina-Schätzchen, sorry. Du warst tatsächlich nur Mittel zum Zweck.“

„Dein ,verdammt leichtes Spiel‘ endet heute, Verignow“ entgegnete Sebastian emotionslos, „Du wirst hinter Gitter wandern und nie wieder in deinem erbärmlichen Leben einen Sonnenaufgang zu sehen bekommen.“

Lou prustete los, er klang fast ausgelassen. Sein lautes bizarres Lachen endete in einem befremdlichen Kichern bevor er grinsend sagte: „Das wird nicht passieren.“
Dann griff er nach seiner Dienstwaffe, schnell aber nicht überhastet, hielt sie an seine Schläfe – und drückte ab.

Stille.

Die Menschen rangen um Fassung.
Nur Sebastian Stoltz blieb gleichmütig und meinte mit tonloser Stimme:
„Ich gehe davon aus, dass das Impfzentrum nun schließen wird. Punkt. Aus. Ende.“

Ende

[Für meine Kollegen und Freunde im Impfzentrum, ob Registraturmitarbeiter, Pflegekräfte, Ärzte, Mobile Impfteams – jede und jeder einzelne von Euch war eine Inspiration. Danke für diese unvergessliche Zeit!]

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+++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++
Der komplette Krimi mit zwei zusätzlichen bisher unveröffentlichten Kapiteln wird voraussichtlich im November 2021 als Taschenbuch erscheinen!

» ZU KAPITEL 1 • Der neue Job im Impfzentrum
» ZU KAPITEL 2 • Der Verdacht
» ZU KAPITEL 3 • Schlechte Witze
» ZU KAPITEL 4 • Ein bisschen wie Tinder
» ZU KAPITEL 5 • Giftspritze
» ZU KAPITEL 6 • Ärzte auf dem Dach
» ZU KAPITEL 7 • Der Schöne ist immer der Böse
» ZU KAPITEL 8 • Alles ist anders
» ZU KAPITEL 8 ½ • Das Interview

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