KRIMI-KAPITEL 4 • Ein bisschen wie Tinder

Impfzentrum

„Verhaftet?“
Fritzi starrte den Kommissar an.
Der Kommissar starrte Fritzi an.
Sein jüngerer Kollege sagte zum ersten Mal an diesem Tag im Impfzentrum etwas, seine Stimme klang tiefer als man es erwartet hätte: „Wehren Sie sich nicht, junge Dame. Es ist am besten, wenn Sie sich kooperativ verhalten.“
„Kooperativ?“

Fritzi verstand immer noch kein Wort. Nur weil sie den Kopf eines Toten in ihrem Spind gefunden hatte, sollte sie nun in den Knast? Nur weil sie Abwechslung von der öden Tristesse des Lockdowns gesucht und diesen Job angenommen hatte, steckte sie nun in dieser verrückten Situation? Allmählich bekam sie das Gefühl, sie hätte doch einfach eine illegale Corona-Party in der Kanalisation veranstalten sollen anstatt sich hier mit zerstückelten Toten, unechten Impfärzten und nach Rauch stinkenden Kommissaren herum zu schlagen.

„Sind Sie Serina Sander?“
„Ich bin Fritzi Feuerstein.“ 
„Haben Sie das geschrieben?“ Der Kommissar hielt Fritzi einen kleinen gelben Zettel unter die Nase. Darauf stand etwas Handschriftliches, krakelig, fast unleserlich, jedoch eindeutig:

Serina Sander ist meine Mörderin

„Ich heiße nicht Serina und ich habe diesen Text nicht geschrieben.“
Es schien, als würde der Kommissar auf seinen Rücken fassen, um von dort etwas aus der Gürtelhalterung zu greifen.„Erschießen Sie mich jetzt?“ Fritzi war genervt.
„Ich suche mein Notizbuch. Die deutsche Polizei erschießt keine Mitarbeiter von Impfzentren. Wissen Sie, wer diese Serina ist und wo sie sich aufhält?“
Fritzi schüttelte den Kopf. Der Tag war mittlerweile weit fortgeschritten, sie war müde.

„Das ist eine unserer Kolleginnen“ Adrian war unbemerkt auf der Bildfläche aufgetaucht, er stand neben Fritzi und nickte ihr kurz zu. Fritzis Herz begann schon wieder, schneller zu schlagen, die Müdigkeit war verschwunden. Ihr Gesicht lief rot an. 
Wo kam Captain America plötzlich her? Und weshalb zum Teufel sah er so verflucht gut aus?

„Wissen Sie, Herr Wachtmeister“ sagte Adrian, „das Impfzentrum ist ein bisschen wie Tinder, nur real.
Serina war eine meiner Eroberungen. Und wenn Sie mich fragen, traue ich ihr einen Mord ohne weiteres zu!“   
„Ich bin Kriminalhauptkommissar“ korrigierte ihn der Kommissar, „Wir beide werden uns jetzt unterhalten.“
Und zu Fritzi gewandt sagte er: „Sie können gehen.“

Drei Tage später war im Impfzentrum fast alles wie zuvor: 
Polizisten waren nur anwesend, um geimpft zu werden. Der Teamleiter sang dazu „Woop, woop, that’s the sound of da police!“ – aber nur, wenn die nicht hinsah. Professor Truschinski eilte wild gestikulierend durch die Flure, immer auf der Suche nach der Möglichkeit einer Prozessoptimierung. Die Impflinge brachten entweder aus Dankbarkeit Schokolade für die Mitarbeiter mit oder sie diskutierten missgelaunt über Sonderwünsche. Die Impfärzte verarbeiteten im Akkord den Impfstoff, der von der Security sogar nachts persönlich bewacht wurde. Und die Kaffeemaschine war wieder einmal kaputt.

Fritzi betrat das Impfzentrum. 

Die letzten beiden Tage hatte sie damit verbracht, sich von dem Schrecken ihres ersten Arbeitstags zu erholen. 
So viel Drama gab es sonst nur in Daily Soaps. Oder bei „Germany’s Next Top Model“. Aber da sie weder Schauspielerin noch Model war, hatte sie das alles ziemlich mitgenommen. 

Und dann war da noch das Gespräch mit den Kommissaren. Man hatte versucht, sie auszuquetschen wie eine Weihnachtsgans. Löcher in den Bauch hatte man sie gefragt. In ihrem Leben rumgestochert. Sie auseinandergenommen wie einen Fisch auf dem Servierteller. Letztendlich half all das nicht weiter. 
Die Polizei tappte nach wie vor im Dunkeln und die Reste der Leiche waren auch nirgendwo aufgetaucht. Die geheimnisvolle Serina Sander war nach wie vor unauffindbar und das Gespräch mit Adrian auf der Wache hatte offenbar auch zu keinem neuen Hinweis geführt. 

Zudem gab es erhebliche Zweifel an einer Nachricht, die ein Toter geschrieben haben soll.
Hier wurde irgendein geisteskrankes Spiel gespielt, so viel stand für Fritzi fest.

„Da bist du ja!“ Pierre kam auf Fritzi zu und malte mit den Fingern ein Herz in die Luft. „Wir dachten schon, du kommst nicht mehr. Landest im Knast oder so. Oder in der Psychiatrie.“ Er kicherte schon wieder. Offensichtlich hatte er diese Tragödie gut überstanden.
„Ich soll dir von Noah ausrichten, dass du heute nochmal die Wegweiserin spielen sollst. ‚Folgen Sie den orangen Pfeilen‘ und so, du weißt Bescheid. Es ist alles wie immer, Baby!“ 
Mit diesen Worten ließ er sie stehen und schlenderte pfeifend davon.

Es ist eben nicht alles wie immer, ihr armen Irren! Fritzi konnte nicht verstehen, wie jedermann hier einfach so zur Tagesordnung übergehen konnte. Da ihr aber gerade auch nichts Besseres einfiel, tat sie dasselbe und wies Impflingen den Weg. 

Jemand zupfte an Fritzis Ärmel. Sie drehte sich um. Vor ihr stand eine junge Frau, lange dunkle Haare, hübsch. Ihr Äußeres hatte jedoch stark gelitten: Ihr hingen verklebte Haarsträhnen im Gesicht und sie schwitzte stark. Ihre Augen verrieten Angst, fast Panik. Die Kleidung war verknittert und angeschmutzt.
„Wer bist du?“ Fritzi konnte sich keinen Reim auf diese Person machen.  
„Ich bin Serina. Du musst mir helfen. Sie sind hinter mir her!“
„Du bist Serina? Wo bist du gewesen? Und warum steht dein Name auf einem Zettel, den man bei dem Toten gefunden hat?“
„Du musst mir helfen, bitte!“ Serina ging nicht ein auf das, was Fritzi fragte. Sie schaute sich hektisch um, als schien sie etwas oder jemanden zu suchen. 
„Wenn ich dir jetzt helfe, zu verschwinden und es stellt sich heraus, dass du eine Mörderin bist, bin ich geliefert!“ Fritzi überlegte fieberhaft, was sie tun sollte. Auf der einen Seite hatte sie den unbedingten Wunsch, Pierre oder Noah dazu zu rufen und um Rat zu fragen. Andererseits sah sie diese junge Frau und war überzeugt davon, dass diese sich in einer Notlage befand. 
Fritzi griff Serina am Arm: „Wenn du mich anlügst, reiße ich dir jedes einzelne deiner schönen Haare aus, hast du verstanden?“ Damit zog Fritzi Serina mit sich und brachte sie zu einem abgelegenen kleinen Raum, in dem Putzmittel gelagert wurde. Die Tür war zum Glück unverschlossen und so schob Fritzi das Mädchen hinein. 
„Du wartest hier bis ich wiederkomme!“
Serina nickte nur. In ihren Augen standen Tränen. Fritzi schloss die Tür und hoffte inständig, dass die Putzleute an diesem Tag keinen Nachschub an Reinigern und Desinfektionsmitteln benötigten.

Gerade als sie etwas außer Atem zurück an ihrem Arbeitsplatz war, kam Noah auf sie zu. 
Er blieb vor ihr stehen und beugte sich nach vorne, als wolle er ihr etwas Geheimnisvolles ins Ohr flüstern. Fritzi hörte aufmerksam zu, es konnte nur um den Mord im Impfzentrum gehen. 
„Man weiß jetzt, wer der Tote ist.“
Fritzi bekam große Augen.
„Wer?“
„Du wirst es nicht glauben!“
„Wer?“ wiederholte Fritzi.
Noah flüsterte nun tatsächlich. 
Fritzi schaute Noah überrascht an. 
Was er da gesagt hatte, war in der Tat unglaublich.

Fortsetzung folgt…

» ZUR SPOTIFY-PLAYLIST
» ZU KAPITEL 1 • Der neue Job im Impfzentrum
» ZU KAPITEL 2 • Der Verdacht
» ZU KAPITEL 3 • Schlechte Witze

[Für Sezen,
die eine gute Beobachtungsgabe hat!]

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