KRIMI-KAPITEL 7 • Der Schöne ist immer der Böse

Fritzi stand jetzt etwas ratlos da. 
Um sie herum herrschte das reinste Chaos: hysterisches Weinen, lautes Schluchzen, hektisches Gerenne. 
Die Polizei war angerückt und hatte damit begonnen, die Reste von Professor Truschinski aufzukratzen. 
Vor allem aber hatte sie damit zu tun, neugierige Menschen zurückzuhalten: Viele wollten wenigstens einen kurzen Blick auf das werfen, was nach einem Sprung aus der Höhe von einem Menschen übrigblieb. Und so kam es zu einem ungemütlichen Gedränge rund um den Landeplatz.

Aber auch Fritzi musste unentwegt hinsehen. Schließlich stand sie direkt neben der Leiche. Sie konnte sie riechen während sie einen abgeplatzten Teil von Professor Truschinskis Gehirn anschaute. Die Oberfläche war blutig, klebrig und leicht verformt. Ihre Augen folgten den Gehirnwindungen, links rum, rechts rum, links rum, rechts rum.
Sie zählte achtzehn blau schimmernde Schmeißfliegen, die eben dort aufgesetzt hatten und sich auf ein köstliches Mahl freuten… 
Delta, Echo, Bravo. Bereit für die Landung. Willkommen in Hirndistan, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Bitte achten Sie beim Aussteigen darauf, dass Sie nicht auf einer Blutlache ausrutschen.
Thank you for travelling with Air Fly.

„Das Impfen können wir für heute vergessen.“ Noah war zu ihr gekommen und hatte Fritzi aus ihren Gedanken gerissen. 
„Geh‘ nach Hause, wir sehen uns morgen.“
„Klar, morgen. Tschüss, ja.“ Fritzi stammelte die Worte mehr als dass sie sie klar aussprach. Noah verstand sie trotzdem, tätschelte ihr die Schulter und verschwand wieder im Impfzentrum.

Fritzi war immer noch ratlos und so beschloss sie, tatsächlich erst einmal nach Hause zu gehen. Es gab so viele Dinge, über die sie nachdenken musste. Professor Truschinskis Selbstmord war eines davon. Wo Serina steckte, eine andere Sache.

Am nächsten Tag erinnerten nur noch weiße Kreide-Markierungen der Polizei an das unappetitliche Aufschlagen eines lebenden Körpers direkt vor dem Eingang des Impfzentrums. Menschen vergessen schnell, hier scherte sich heute keiner mehr darum.

Fritzi meldete sich an diesem Tag freiwillig für einen der langweiligeren Dienste, um in Ruhe ihren Gedanken nachhängen zu können. Und so stand sie als Wegweiserin vor dem Raum, indem die Impflinge nach der Spritze noch eine Weile beobachtet wurden. Man wollte in der Nähe sein, sollte es jemandem nicht gut gehen. Dies entbehrte nicht einer gewissen Ironie, wenn man bedachte, dass der Kopf einer Leiche in Fritzis Spind gefunden worden war und sich ein Arzt das Leben genommen hatte. 

„Folgen Sie bitte den gelben Pfeilen. Hier hinein bitte. Nein, nicht da, dort, danke.“ sie spulte ihren Text einfach nur automatisiert ab, ihr Kopf war ganz woanders. Sie hatte Serina heute noch nicht gesehen. 

Plötzlich hatte Fritzi einen Geistesblitz, eine kolossale Eingebung. Eine sich so sehr aufdrängende Idee, dass sie sich gleichzeitig fragte, weshalb sie darauf nicht schon früher gekommen war. Vielleicht weil sie verknallt war, blind für die Wahrheit? Ihr wurde schwindelig – tief war der Sturz von Wolke sieben auf den Boden der Tatsachen.
Konnte es möglich sein, dass Serina etwa von Adrian verschleppt worden war?
Hatte er sie womöglich auf dem Gewissen? 

Oh Gott, Captain America ist der Mörder! 

Fritzi konnte jetzt keinen klaren Gedanken mehr fassen. 

Ist es möglich, dass ich wirklich so dumm war? Es sprach doch schon länger alles dafür, dass Adrian Dreck am Stecken hatte. Ich muss ihn finden. Nein, ich muss Serina finden. Nein, ich muss zur Polizei.

Da kam Pierre den Gang entlang geschlurft. „Hey du!“ rief er ihr schon von Weitem zu, „was geht, kleine Zuckerschnecke!? Du bist die süßeste Praline der Welt, lass mich deine Füllung sein!“
Normalerweise hätte er sich dafür mindestens einen zornigen Blick eingefangen, aber Fritzi hatte andere Probleme als sich über Pierres sexistisches Schandmaul zu ärgern. 

Sie bat ihn um Ablösung, um ihrem Verdacht nachgehen zu können. Pierre willigte ein und meinte noch:
„Im Pausenraum steht Serina mit der Polizei, die suchen dich, glaube ich!“
„Warum sagst du das nicht gleich?“ Fritzi beschleunigte ihren ohnehin schnellen Gang auf einen leichten Trab und beeilte sich, den Pausenraum zu erreichen. 

„Da sind Sie ja!“ sagte der junge Kommissar, den Fritzi bereits von früheren Treffen kannte.
„Serina, endlich!“ sagte Fritzi zu ihrer Kollegin ohne dem Polizisten Beachtung zu schenken, „Was ist hier los?“
„Hör zu,“ Serina hatte eine geradezu beschwörende Stimmlage als sie das sagte, „wir müssen mit dir reden! Ich habe mich Lou anvertraut und wir benötigen deine Hilfe.“ Bei diesen Worten deutete sie mit dem Kinn auf den Polizisten, der dicht neben ihr stand. Er legte dabei seine Hand sanft auf ihre Schulter, fast liebevoll sah das aus. Fritzi wunderte sich, dass sich ihre Kollegin darüber nicht wunderte. Weshalb kannten sich die beiden plötzlich so gut?

Serina warf dem Beamten einen dankbaren Blick zu und fuhr nun mit leiserer Stimme fort:

„Du weißt, dass ich den Mord beobachtet habe, den Mord an Professor Truschinskis Sohn. Sein abgetrennter Kopf war es, der in deinem Spind gefunden wurde.“

Fritzi nickte.

„Du weißt auch, dass die Männer, die für diesen grausamen Tod verantwortlich sind, von meiner Beobachtung Kenntnis haben.“

Fritzi nickte.

„Von ihnen stammt auch der Zettel mit meinem Namen und der Aussage, dass ich die Mörderin sei.“

Fritzi nickte.

„Wir brauchen dich, um den wahren Mörder dingfest zu machen.“ 

Serina tippelte etwas nervös von einem Bein auf das andere, nachdem sie diese Bitte ausgesprochen hatte. 

„Du musst uns helfen, Adrian zu schnappen!“

Fritzi schaute ihre Kollegin prüfend an. So wie sie das sagte, klang das alles sehr einfach. Aber war es auch die Wahrheit? Es deckte sich zumindest mit ihrem eigenen Verdacht, der Schöne war wohl tatsächlich auch der Böse.

Fritzi schluckte ihre Enttäuschung hinunter. Es gab nur eine Frage:
„Wieso soll Adrian das alles getan haben? Und warum hat sich Professor Truschinski nach dem Tod seines Sohnes das Leben genommen?“

Lou sprach nun an Serinas statt weiter: „Das werden wir noch rausfinden müssen. Aber die Sachlage scheint erst einmal klar zu sein. Adrian Kamp ist der mutmaßliche Mörder und wir müssen ihn finden, bevor er verschwindet oder weitere Menschen tötet.“

Fritzi überlegte kurz. 
Dann sagte sie: „Ich habe da eine Idee.“

Fortsetzung folgt…

[Für Oliver,
der mir gerade so viele freie Tage zugesteht, dass ich schreiben kann ;-]

» ZUR SPOTIFY-PLAYLIST
» ZU KAPITEL 1 • Der neue Job im Impfzentrum
» ZU KAPITEL 2 • Der Verdacht
» ZU KAPITEL 3 • Schlechte Witze
» ZU KAPITEL 4 • Ein bisschen wie Tinder
» ZU KAPITEL 5 • Giftspritze
» ZU KAPITEL 6 • Ärzte auf dem Dach

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