Hartnäckig, widerstandsfähig, renitent: Die »Letzte Generation« nervt. Na und?

Letzte Generation Hamburg Sucy Pretsch Interview

[Aus der Reihe »Mieses Klima« Teil 2]

+++ Das sagt die »Letzte Generation« zur Kritik +++ Wie steht die Mehrheit des Gesellschaft tatsächlich zu den Aktionen? +++ Blockaden in Hamburg und Berlin nehmen zu +++

Sie gehen vielen Menschen gehörig auf die Nerven – und sie scheinen genau das anzustreben. Die »Letzte Generation«-Aktivisten haben in den letzten Monaten für viel Aufregung gesorgt. Zurzeit scheint Hamburg ein Schwerpunkt der Blockaden zu sein (»Kilometerlange Staus kurz vor Ostern«). Für Ende April stehen Aktionen im Regierungsviertel in Berlin auf dem Programm. Der Osterreiseverkehr wurde von der Schwesterorganisation »Renovate Switzerland« durch eine Blockade des Gotthard Tunnel gestört. Mit ihren Blockaden und Aktionen versuchen die Aktivisten, auf die Dringlichkeit des Klimawandels aufmerksam zu machen. Das wissen alle. Aber bewirken sie auch genug? Sie selbst sprechen davon, dass die Mehrheit der Menschen hinter ihren Forderungen stünde. Nun ja, das kommt darauf an, wen man fragt.

Der NDR hat zum Beispiel im Januar 2023 in einer breiten Umfrage* einen Trend ermitteln können: »Die Haltung zu den Protesten der „Letzten Generation” hängt deutlich mit dem Alter zusammen: Je älter die Befragten, desto häufiger halten sie die Aktionen für falsch. […]« Die Stuttgarter Nachrichten berichten von einer repräsentativen Umfrage** in Baden-Württemberg: »Nur eine Minderheit der Befragten – sechs Prozent – unterstützen den Angaben zufolge die Klimaaktivisten.« Der größte Teil ist sogar für härtere Strafen.

Zustimmung zu »Letzte Generation« eine Frage des Alters?

Es scheint eine Frage des Alters zu sein, wer die »Letzte Generation« unterstützt – und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich ihres Vorgehens. Lea Rhein, ein Hamburger Mitglied, spricht in der ARD davon, dass »die Mehrheit der Menschen hinter den Forderungen« stünden. Und vielleicht liegt hier das Missverständnis. Viele stehen sicher hinter den Forderungen – allerdings nicht hinter dem Weg, diese durchzusetzen. Und doch: Warum reagiert die Gesellschaft oft derart hysterisch auf die, die am Boden kleben? Denn seien wir ehrlich: Ihre Forderungen sind berechtigt.

Auch von Personen des öffentlichen Lebens hagelt es Kritik. Klimaforscher Mojib Latif zum Beispiel sagt: »Die gesamte Klimabewegung wird in Misskredit gebracht!«. Er bevorzugt Vorträge und Bücher, um die Gesellschaft vom erforderlichen Handeln zu überzeugen. Der Chefarzt für plastisch-ästhetische Chirurgie in Hamburg, Jörg Elsner, sieht wegen entstehender Verkehrsprobleme die medizinische Versorgung in Gefahr. Das Festleben auf der Straße findet er gar nicht gut: »Wenn man sich selbst verletzt, kann ich das nicht tolerieren!« Der Oberbürgermeister Tübingens, Boris Palmer, sagt im Interview mit mir dazu: »Ich halte das Vorgehen der letzten Generation für kontraproduktiv.«

Eine Frankfurter Psychologin hat sich selbst einem Experiment unterzogen, sich eingeschleust und die Trainings- und Bindungsstrategien der Klimaaktivisten »Letzte Generation« dabei untersucht. Sie konnte die Erkenntnis gewinnen, dass diese Aktivisten über eine überzeugende Tonalität verfügen, die andere Menschen für ihre Sache gewinnen kann. Die internen Trainings hält sie allerdings für »ethisch fragwürdig«. Sie sagt: »Der Umgang ist, anders als zum Beispiel bei Fridays for Future oder der Antifa, extrem persönlich und wertschätzend. Man teilt von Anfang an seine Emotionen, so dass ein starker Zusammenhalt entsteht.« Fridays for Future hat übrigens des Öfteren Verständnis für die Aktionen geäußert.

Ich habe bei Jakob Beyer, dem Sprecher »Letzte Generation«, nachgefragt mit dem Gedanken, dass es doch sicher besser wäre, wenn sie sympathisch auftreten würden. Ich frage mich: Könnte man die Gesellschaft zu einem breiten Umdenken und die Politik zu einem schnelleren und resoluteren Handeln bewegen, wenn man etwas weniger wie kratzende Fingernägel auf einer Tafel in Erscheinung treten würde? Oder würden dann alle, wie meistens, einfach kopfschüttelnd weitergehen? Die Antwort der »Letzten Generation« darauf ist indes eindeutig. Sie pfeifen auf Sympathie.

Kritik: Die Aktivisten legen keinen Wert auf Sympathie

SUCY: Warum glaubt Ihr, dass Euer Weg mit Euren Stör-Aktionen der richtige ist?

JAKOB: Zunächst müssen wir festhalten, dass über die letzten Jahre sämtliche andere Protestformen genutzt wurden. Fast 1,5 Millionen Menschen waren an einem einzigen Tag mit FridaysForFuture auf der Straße. Ergebnis der Proteste war ein in Teilen verfassungswidriges Klimaschutzpaket. 

Gestern erschien der Synthesebericht des Weltklimarats. Er sagt aus, dass die 1,5-Grad-Grenze so gut wie nicht mehr einzuhalten ist. Eine Grenze, die einzuhalten sich auch die Bundesregierung verpflichtet hat. Doch ihre selbstgesteckten Ziele reichen dafür nicht annähernd aus und dann verfehlt sie diese Ziele auch noch Jahr um Jahr. 

Protest muss stören, sonst wird er ignoriert. Das haben wir in den vergangenen Jahre zu Genüge gesehen. Ziviler Widerstand ist das effektivste Mittel, welches wir als Zivilgesellschaft zur Verfügung haben. Soziale Fortschritte wie beispielsweise das Frauenwahlrecht wurden immer wieder durch zivilen Widerstand, durch störenden Protest erreicht, das hat die Geschichte gezeigt. 

Ohne Druck wird es keine Veränderung geben. Dieser Druck lässt sich unserer Überzeugung nach am besten über die von uns ausgeführten Proteste erzeugen.

»Die Beliebtheit einer Bewegung ist nicht entscheidend für ihren Erfolg«

SUCY: Habt Ihr seitens der Gesellschaft mit einer anderen Reaktion gerechnet, sprich mit weniger Ablehnung? Laut Umfragen gibt es nicht viele Bürger, die Euer Vorgehen gutheißen. 

JAKOB: Uns geht es nicht um uns. Uns geht es nicht darum, beliebt zu sein. Dass wir nicht beliebt sein werden, war uns vor der ersten Straßenblockade bewusst. Wir wollen, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung vor dem Grundgesetz nachkommt, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Die Mehrheit lehnt unsere Proteste ab, aber eine überwältigende Mehrheit steht hinter unserem Anliegen, endlich echten Klimaschutz zu bekommen. Laut aktueller Politbarometer-Umfrage unterstützen 55% der Bevölkerung die getroffenen Vereinbarungen einzelner Städte mit uns. 

Die Beliebtheit einer Bewegung ist nicht entscheidend für ihren Erfolg. Wenn eine Mehrheit hinter dem Anliegen steht, braucht es einen Druck, an dem es kein Vorbeikommen gibt. Diesen wollen wir erzeugen.

»Das Zeitfenster dafür schließt sich«

SUCY: In wieweit seht Ihr den Planeten bereits als verloren an?

JAKOB: Würden wir den Planeten als verloren ansehen, würden wir nicht tun was wir tun. Die absolute Katastrophe lässt sich noch verhindern, sagt uns die Wissenschaft. Aber das Zeitfenster dafür schließt sich. Deshalb müssen wir jetzt schnell handeln und massiv umsteuern. Die Bundesregierung hat gezeigt, dass sie nicht mal bereit ist, die einfachsten Sicherheitsmaßnahmen, wie ein Tempolimit umzusetzen. 

Deshalb sind wir der Überzeugung, muss die Demokratie jetzt demokratischer und durch weitere Instrumente ergänzt werden. 

Es braucht jetzt einen Gesellschaftsrat, in dem zufällig geloste Bürger*innen Deutschlands zusammenkommen, miteinander ins Gespräch kommen. Ein Gesellschaftsrat ermöglicht tatsächliche Repräsentation, so wie es Demokratie vorsieht. Der Arbeiter kommt mit der Professorin ins Gespräch, der Veganer mit der Fleischliebhaberin. Gemeinsam erarbeiten diese Menschen im Gesellschaftsrat, wie Deutschland bis 2030 aus der Nutzung fossiler Rohstoffe aussteigen kann. Dass Bürger*innenräte sehr fortschrittliche Ergebnisse hervorbringen können, hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt. Nur leider wurden die Maßnahmen meist nicht umgesetzt. Wir fordern die Bundesregierung auf, die erarbeiteten Maßnahmen des Gesellschaftsrats dann auch umzusetzen.

SUCY: Danke!

Auch interessant im Blog:

[Bilder: letztegeneration.de]

*Eine Umfrage des NDR unter 12.800 Mitgliedern der #NDRfragt-Gemeinschaft
**Repräsentative Umfrage von „Baden-Württemberg Report“ 


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2 Kommentare

  1. Danke für das spannende Interview! Die Aktivisten spalten tatsächlich die Nation. Fakt ist, dass wir uns ohne die Aktionen dieser Menschen nicht so häufig und weniger intensiv mit der Klimakrise auseinandersetzen würden. Ob der Zweck die Mittel heiligt, darüber lässt sich dann gerne streiten.

    Beste Grüße,
    Eddy

    1. Danke Eddy!
      Ich gebe Dir vollkommen recht. Das Thema rückt in den Fokus. In den Medien kommt bezüglich „Letzte Generation“ jedoch meiner Meinung nach zu oft der Tenor „Klimakleber“ (oder sogar „Klima-Terroristen“!) durch, anstatt sich mit den Anliegen sachlich auseinander zu setzen. In Kürze erscheint ein Interview mit einem Klima-Experten der Uni Hamburg, das ich geführt habe – zur fachlichen Einordnung der Sachlage. 🙂

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