Eine kleine Stadt und ihr Kein-Deal

Der Tübinger Oberbürgermeister zum angeblichen Deal mit »Letzte Generation« +++ Boris Palmer

[Aus der Reihe »Mieses Klima« Teil 1]

+++ Der Tübinger Oberbürgermeister zum angeblichen Deal mit »Letzte Generation« +++ Eine Stadt in der süddeutschen Provinz wird (zum Glück) zum Klima-Streber +++

Die Stadt Tübingen: eine Vorreiterin in Sachen Umweltschutz? Schon über viele Jahre hinweg hat die schwäbische Kleinstadt auf die Klimakrise reagiert und mit innovativen Initiativen einen Beitrag geleistet. Nun steht Oberbürgermeister Boris Palmer vor der Herausforderung, Tübingen in eine grüne Zukunft zu führen. In der Studentenstadt (und nicht nur dort) sorgt der OB immer wieder für kontroverse Diskussionen.

Boris Palmer ist bekannt für seine provokanten Aussagen – erst zuletzt geriet er wieder in den Fokus: Der Gemeinderat in Tübingen hat in Bezug auf seine Äußerungen zu einer tragischen Messerattacke scharfe Kritik geäußert. Der Vorwurf des Rassismus geht um. Auch die Nutzung des »N-Worts« während einer Frankfurter Konferenz sorgte für Aufregung – der Moderator und Kulturwissenschaftler Adrian Gillmann verließ sogar die Bühne, als Palmer das »N-Wort« mehrfach wiederholte. Nun hat Palmer Konsequenzen gezogen, kündigt am 1. Mai eine Auszeit an und tritt bei den Grünen aus.

#Palmer nimmt sich eine Auszeit und tritt bei den Grünen aus.

Aber zurück: Vor strikten Maßnahmen beim Umweltschutz schreckt der 50-Jährige bekanntermaßen nicht zurück. Da wären zum Beispiel die horrenden Parkgebühren für klimaschädliche SUVs (2021 Anhebung von 30 auf 180 Euro) – autsch. Eine Sache, die den Bürgern in der breiten Masse sicher besser gefällt, ist die kostenfreie Bus-Nutzung am Samstag, das gibt’s schon seit 2018. Palmer äußert sich dazu gegenüber dem Spiegel: »Dadurch konnten wir 10.000 zusätzliche Passagiere täglich gewinnen, was mehr als ein Drittel ausmacht.«

E gibt immer wieder hitzige Debatten darüber, welche Maßnahmen wirklich sinnvoll sind. Und Palmer ist bundesweit dafür bekannt, dass er gerne eigene Wege geht. So verfolgt er zum Beispiel das Ziel, Tübingen bis 2030 klimaneutral zu machen, sehr konsequent. Auch wenn er streitbar ist, seine Erfolge sprechen eine klare Sprache. Laut eines Berichts des SWR »sind die energiebedingten CO2-Emissionen Tübingens zwischen 2006 und 2019 in absoluten Zahlen um 30 Prozent gesunken.« Das nötigt Respekt ab. Und kann als Vorbild dienen. Denn unbestritten ist, dass unsere Gesellschaft was tun muss. Am besten wäre es, wenn die Weltgemeinschaft zusammen hält. Aber das können wir wohl abhaken. Also setzen wir auf einige wenige, die voran gehen.

Der Tübinger Oberbürgermeister zum angeblichen Deal mit »Letzte Generation«: Er steht generell hinter den Forderungen

Die Tübinger Radbrücke Mitte führt seit Juli 2021 parallel zur Straßenbrücke in der Friedrichstraße über die Steinlach.
[Bild: Gudrun de Maddalena]

Einige Oberbürgermeister in manchen Städten versuchen ebenfalls zu handeln. Sie setzen sich für einen Deal mit Aktivisten und Umweltschützern ein und versuchen damit unsere Umwelt für uns alle zu erhalten. Die Nachricht verbreitete sich schnell, als Belit Onay, Bürgermeister von Hannover (Die Grünen), einen »Waffenstillstand« mit der Aktivistengruppe »Letzte Generation« vereinbarte. Dann folgte Thomas Spies, der Oberbürgermeister von Marburg (SPD), indem auch er Frieden mit den Aktivisten schloss. So kommt Stadt für Stadt dazu. Wenngleich es wahrscheinlich genauso viele Bürgermeister gibt, die sich weigern. In Hamburg war die Reaktion auf einen Brief der Gruppe eher gereizt. Oberbürgermeister Peter Tschentscher (SPD) lehnt eine Kommunikation kategorisch ab. Mehr noch: Er hat den Verfassungsschutz eingeschaltet.

Boris Palmer: »Es gibt keine Vereinbarung«

Derweil in Süddeutschland: OB Palmer trifft sich mit Vertretern der Gruppe »Letzte Generation« und heraus kommt ein Deal, der Tübingen vor Protest-Aktionen der Aktivisten bewahren soll. Oder doch nicht? Ja, was denn nun?

In einem Statement vom 21. März 2023 schreiben die Aktivisten: »Inzwischen haben sich die Bürgermeister:innen in Hannover, Tübingen, Marburg, Greifswald und Lüneburg hinter unsere Forderungen gestellt und die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesellschaftsrat einzuberufen.« – jein. Unser schwäbisches Clevere hat nur zugesagt, was er ohnehin gutheißt. Und was sowieso schon im Koalitionsvertrag steht.

Um sicher zu gehen, habe ich ihn gefragt – und er hat mir geantwortet. Danke dafür.

SUCY: Die Medien berichteten über einen »Deal«, den Sie mit Vertretern von »Letzte Generation« getroffen haben. Auf Facebook haben Sie eine falsche Auslegung kritisiert.* Ist die Vereinbarung überhaupt eine (neue), da Sie ohnehin Bezug zum bestehenden Koalitionsvertrag (Bürgerrat) nehmen bzw. was hat sich seit dem Gespräch mit den Aktivisten geändert in Ihrem Umgang in Tübingen im Kampf gegen den Klimawandel?
* (Ich nehme Bezug auf Boris Palmers Facebook-Beitrag vom 06.03.2023 „Die letzte Generation hat nichts angeboten, ich habe nichts gefordert.“)

BORIS PALMER: Es gibt keine Vereinbarung. Wir haben miteinander geredet. Blockaden war dabei kein Thema. Die Frage, ob ich den Vorschlag eines Bürgerrates unterstütze, habe ich beantwortet. Das war es. 

SUCY: Braucht es Ihrer Meinung nach Gruppen wie »Fridays for Future«, »Letzte Generation« oder »Scientists for Future«, um die Gesellschaft zu einem breiten Wandel und die Politik zu einem entschlosseneren Handeln zu bewegen?

BORIS PALMER: Ich halte das Vorgehen der letzten Generation für kontraproduktiv. Fraglos ist aber gesellschaftlicher Druck die Voraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz. 

»Letzte Generation« am 8. März 2023: Blockaden wie in Oldenburg wird’s in Tübingen wohl nicht mehr geben.
[Bild: letztegeneration.de]

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